Große Digitalplayer genießen ein Vorrecht, das in der analogen Welt niemand hat: das Haftungsprivileg. Damit muss Schluss sein. […]
Ich bin da – auch wenn es erst mal überraschen mag – eher beim US-Vizepräsidenten J. D. Vance. „Die kleinteiligen Regulierungsvorschriften des DSA bringen uns nicht weiter.“ Und: „Der DSA muss weg.“ Das waren zwei seiner Forderungen auf dem Pariser AI Summit im Februar. Auch wenn seine Begründung, die EU schränke damit die Meinungsfreiheit im Internet ein, natürlich abwegig ist. In Einem aber hat er möglicherweise nicht ganz unrecht: Im Bemühen, die Pflichten von „notice and takedown“ im DSA zu konkretisieren, wurde das Interesse der Plattformen weiter darauf reduziert, nur das umzusetzen, wozu sie nach Kenntnisnahme verpflichtet sind, oder wie man sich bei ihnen beschweren kann. Das wird ihrer Relevanz für die Meinungsbildung aber bei weitem nicht gerecht.
Wenn wir weiter nur auf freiwillige Community-Standards und Transparenz setzen, wird sich nichts ändern. […]
Mir ist klar, dass dafür ein Paradigmenwechsel nötig ist: Das Haftungsprivileg der Plattformen ist überholt. Stattdessen sollte man die Verpflichtung der Plattformen konkretisieren, für strafbare Inhalte zu haften. So wird die Verantwortung „umgedreht“. Das entbürokratisiert, und heraus kommt ein System, in dem alle Medienhäuser nach den gleichen Prinzipien und entsprechend ihres Einflusses in die Verantwortung genommen werden. […]
Der Schutz des freien politischen Meinungsbildungsprozesses ist von klassischen Medien wie Rundfunk und Presse auf Social Media zu übertragen. Damit wird ganz nebenbei ein großer Schritt in Richtung Level-Playing-Field in einer konvergenten Medienwelt gemacht.
Thorsten Schmiege, faz.net, 17.06.2025 (online)