„Schon die bloße tagtägliche Aneinanderreihung zahlreicher Beiträge über Flüchtlinge in einer Nachrichtensendung kann die Vorstellung bedienen, Deutschland werde von einem Phänomen überflutet, das es nicht mehr bewältigen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob die Autoren dieser Beiträge eher positiv oder eher negativ über Flüchtlinge berichten wollen. Die öffentliche Allgegenwart des Themas über Wochen in allen Medien konstruiert ein „Zuviel“ allein schon durch das Ausmaß der Berichterstattung. Hier wirkt sich auch die Tendenz der Medien zur Skandalisierung und Dramatisierung aus. …
Noch immer verstellt der Glaube an die Neutralität von Fakten und Nachrichten den Blick darauf, wie sehr der Journalismus von der Institutionenperspektive geprägt ist und dem Verlautbarungsjournalismus verfällt, weil er die Geschichten der Politiker erzählt. Das führt dazu, dass die Medien in einem solchen Diskurs vor allem reagieren und Politiker ihnen die Agenda vorgeben können. Und Journalisten reflektieren zu selten, in welche Narrative sie dabei eingebunden werden. Der journalistische Begriff der Gegenrecherche müsste weiter gefasst sein: Er kann einen weiteren Horizont aufmachen und die für das Thema wesentlichen Fragen stellen: Was bedeutet es in einer globalisierten Welt, wenn Sicherheit und Wohlstand so ungleich verteilt sind?“
Friederike Herrmann, epd medien, 24/2016, (online)