Es gibt allerdings eine Verhaltensweise, die leicht zu einer Zwickmühle auswachsen kann. Von Sympathisanten des öffentlich-rechtlichen Systems ist in Festreden und Aufrufen immer das Stereotyp zu hören: Es sei gerade jetzt wichtiger denn je. Kritik an diesem System und seinen Elementen halten sie zurück, weil sie wohl mit Angriffen auf die öffentlich-rechtlichen Medien nicht identifiziert werden wollen, die deren Bestand fundamental infrage stellen. Aber dadurch, dass sie das bestehende System in seiner Form und in seinen einzelnen Komponenten und Aspekten nicht kundig, radikal und umfassend kritisieren, verhindern sie Legitimationsbemühungen der Anstalten auf einem angemessenen Niveau. Es ist angesichts der zunehmenden Nachrichtenvermeidung doch beispielsweise wichtig, zu analysieren und festzustellen, dass und warum die Informationsqualität der Nachrichten und anderer aktueller Sendungen beklagenswert ist, und zwar inhaltlich wie auch formal. Statt ausschließlich stereotyp blutende Verletzte, Explosionen, klagende Frauen und weinende Kinder ins Bild zu rücken, lassen sich Kriege und Katastrophen auch anders darstellen. Schauen Sie einmal eine Woche die Tagesschau des SRF. Dort gibt es um 20 Uhr in 25 Minuten weniger, aber ausführlichere und informativere Beiträge zum Tagesgeschehen als bei der deutschen Namensschwester. Sie sind auch konstruktiver – im Sinne von Angeboten zur Konstruktion eigener Anschauungen und Wertungen.
Immer wieder wird der verfassungsrechtliche Auftrag, der von den Öffentlich-Rechtlichen Produktionen verlangt, die sich nicht nach den Maßstäben des Marktes richten, regelrecht verhöhnt. Reichweite vor Qualität und Relevanz, das ist seit den 1990er Jahren die Ausrichtung der Programmplanung, und hier wäre endlich eine massive Notbremsung nötig. Wenn beispielsweise mitgeteilt wird, dass ein Format oder eine Serie funktioniert, dann bedeutet das in der Regel, dass unter Berücksichtigung der Platzierung im linearen Programmschema eine gute Quote erreicht wurde – und nicht, dass eine bemerkenswerte Welle an Kommunikation mit und unter bestimmten Zielgruppen angeregt wurde.
Herrmann Rotermund, daff.tv, 07.12.2023 (online)