Gute Historienfilme zu drehen, ist eine Kunst. Geschichts-„Dokumentationen“ vor allem mit Reenactments zu füllen, ist nichts als überflüssig. … Zurzeit fahren Geschichts-Dokus eine audiovisuelle Überwältigungsstrategie. Alles Zweidimensionale, Fotos und Landkarten, werden mit 3-D-Effekten aufgepeppt. Mit den größten Anteil am Materialmix haben Spielfilm-artige, von Regisseuren mit Darstellern inszenierte Szenen. Das kann unterhaltsam sein, hat mit Dokumentation aber wenig zu tun hat. … Welche Bilder es noch gibt und warum sie zeigen, was sie zeigen (und was nicht), gehört zur Geschichte dazu. Und fast immer ist das, was erhalten ist, bei genauer Betrachtung aufschlussreich – Bauwerke besonders, wenn man sie von oben zeigen kann, Waffen, weitere Gebrauchsgegenstände und ihre Ornamente, Bilder römischer Kaiser oder barocker Perückenträger auf Münzen, Bücher und die Illustrationen darin und natürlich Kunstwerke. Solch genaues Betrachten ist in Museen oder auch Kirchen (die oft voller alter Kunstwerke stecken) schwierig, da die Objekte klein sind und hinter Glas geschützt oder sich nicht auf Augenhöhe befinden. Was heißt: Gute Kameras können sie besser und jedes Detail größer und ideal ausgeleuchtet zeigen. … Mehr Purismus für den Journalismus hatte ich, eher rhetorisch, neulich hier gefordert. Mindestens so wichtig wäre er in Geschichts-Dokus. Der ungebremste Einsatz von Reenactments, der sich in den späten 2010er Jahren eingebürgert hat, zeugt von schockierend geringem Vertrauen ins Publikum. Und er unterminiert die Glaubwürdigkeit der dokumentarischen Genres, ganz besonders bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Außerdem: Dokumentationen ohne nachgestellte Spielszenen zu produzieren, muss Sender ja nicht davon abhalten, außerdem aufwändige historische Spielfilme oder Serien zu drehen (vielleicht anstelle einiger Krimis).
Christian Bartels, evangelisch.de, 25.07.2019 (online)