Aber die erhebliche Differenz dessen, was die Medien abbilden, zur Alltagsrealität ziemlich großer Bevölkerungsgruppen sollte man in ihrer Wirkung nicht unterschätzen. Das kann Gefühle von Fremdheit, Überforderung, Missachtung auslösen. Aber kulturelle Veränderungen sind immer von solchen Fremdheitsgefühlen begleitet. Die Antwort darauf kann ja nicht sein, jede Veränderung abzuwehren und sich regressiv in die Bundesrepublik etwa der 1950er-Jahre zurückzusehnen, in ein Land ohne Migranten, ohne Gleichberechtigung für Frauen und Homosexuelle und ohne die Folgen der Globalisierung. […]
Diese autoritären Einstellungsmuster haben wir in unseren Langzeitstudien schon lange vor Gründung der AfD beobachtet. Die Wähler vagabundierten damals zwischen den großen Volksparteien oder wanderten in die Nichtwählerschaft. Jetzt haben sie eine feste Anschlussstelle und artikulieren sich politisch in Wahlentscheidungen für die AfD. Die AfD trägt erfolgreich dazu bei, solche Einstellungsmuster zu verfestigen und zu radikalisieren. […] Deshalb ist es auch verkürzt und naiv, das einfach als Protestwahl zu verharmlosen. Das war seit Gründung der AfD immer wieder eine fatale Beruhigungsformel. Wir müssen angesichts von Krisen und Kontrollverlusten damit rechnen, dass der autoritäre Nationalradikalismus ein Erfolgsmodell ist.
Wilhelm Heitmeyer, sueddeutsche.de, 09.07.2023 (online)