Seit Jahrzehnten berichten Medien über europäische Themen aus der jeweils nationalen Perspektive. Sie vernachlässigen häufig die europäischen Zusammenhänge, die Rolle der EU-Insititutionen und die der anderen Mitgliedsstaaten. Das gefährdet die Demokratie, denn rechtsextreme Kräfte werden durch eine solche Berichterstattung gestärkt. Doch es gibt Lichtblicke. […]
Je stärker die gegenseitigen Abhängigkeiten in Europa würden, desto gefährlicher sei es, „wenn die Regierungen und in ihrem Gefolge die Medien im nationalen Kontext befangen bleiben“, warnen Harald Schumann und Elisa Simantke von „Investigate Europe“. Als Beispiel nennen die beiden die Eurokrise. Als die Überschuldung in den fünf Krisenstaaten bewältigt werden musste, ging es darum, wer die Zeche zahlt: Die Steuerzahler*innen der Eurozone oder die Banken, Versicherungen und Pensionsfonds, die auf der Suche nach höherer Rendite den ungesunden Boom erst finanziert hatten. Diese mussten dann aber für ihre Fehlinvestitionen nicht haften, weil sie „systemrelevant“ waren. Also wurde die Haftung auf die Bevölkerung aller Euroländer umgelegt. Diesen Zusammenhang hätten jedoch alle deutschen Qualitätsmedien von der Tagesschau bis zur Süddeutschen Zeitung weitgehend ignoriert. Stattdessen beteiligten sie sich an einer „einzigartigen Rufmordkampagne“ gegen die griechische Regierung, die angeblich bei der Kontrolle ihrer Staatsausgaben versagt hatte, kritisieren Schumann und Simantke. […]
Außer dem Hinterfragen von Narrativen ist es wichtig, mit europäischem Blick und grenzüberschreitender Kooperation zu recherchieren, um rechte Doppelmoral zu entlarven. Das demonstriert der Beitrag Inflation in Europa, den das Journalist*innennetzwerk „Investigate Europe“ im Mai veröffentlichte. Dort heißt es, Millionen von Menschen seien nach wie vor von der Sorge um Wohnraum, Arbeitsplätze und tägliche Ausgaben geplagt, und rechtsextreme Parteien gehörten zu denen, die diese Ängste im Wahlkampf ansprechen. Das Europäische Parlament wollte im Dezember 2023 eine befristete Krisen-Solidaritätssteuer auf „unangemessene und übermäßige Gewinne“, die zentrale Inflationstreiber sind, unterstützen, doch die Entschließung scheiterte knapp – an den Stimmen von Konservativen und der extremen Rechten – der „Parteien, denen bei den Wahlen im Juni große Gewinne zugetraut“ werden.
M(verdi.de) 27.06.2024 (online)