Wie sehr die Massenmedien und damit auch das Fernsehen dieser Logik der Opportunität von politischen Entscheidungen folgen, kann man daran erkennen, dass in den meisten Berichten aus China im Januar die Entscheidungen der dortigen politischen Führung, etwa die Provinzmetropole Wuhan, wo das Virus herkam, von der Außenwelt abzuriegeln, kritisiert wurde. Sie seien typisch für ein autoritätsfixiertes Staatsverständnis und für das drakonische Regime der dortigen kommunistischen Partei. Wenige Wochen später, als nacheinander Italien, Österreich und Frankreich ähnliches beschlossen, erscheint eben diese Maßnahme in demokratischen Staaten als absolut.
Aber selbst die Kritik an diesen Widersprüchen ist von Widerspruch nicht frei. Denn wer teilte damals diese Meinung über China nicht, weil sie doch einem Vorurteil entspreche, und wer will heute Einspruch erheben, wenn man nicht weiß, ob man mit einem Nicht-Handeln nicht der Pandemie tatsächlich weiteren Vorschub leistete?!
Auszuhalten bleibt die Erkenntnis, dass die Entscheidungen in einem solchen Krisenfall gleichsam stets zu früh wie zu spät erfolgen, so wie die Massenmedien mit ihrer Berichterstattung zum einen zu wenig und zum anderen zu viel reagieren. Nichts anderes meint der Begriff der Dynamik, den Wissenschaftler, Politiker und Journalisten seit einigen Tagen verwenden, um die Beschleunigung der Entscheidungen zu charakterisieren. Der Begriff ist das Eingeständnis eines nur reagierenden Handelns, das sich seiner selbst nicht sicher ist.
Dietrich Leder, Medienkorrespondenz, 17.03.2020 (online)