Kern des Konzepts im heutigen Verständnis ist Konfliktkompetenz. Das beginnt beim sachgerechten Berichten über Verhandlungen und Konfliktereignisse und umfasst die Einordnung der Art, wie verhandelt wird, wer welche Positionen verfolgt, wo historische Konfliktlinien verlaufen und wie sich sozialstrukturelle und gesellschaftliche Überzeugungen während des Konflikts verändern. Es verhilft so zu Wissen, das für eine Streitbeilegung notwendig ist. Ziel ist nicht Friedensaktivismus. … Konfliktkompetenz bedeutet, mit einem möglichst breiten Blick über Tellerränder hinauszuschauen. Friedensjournalismus kann auch ein Kooperationskonzept sein: Kriegsreporter vermitteln das Geschehen auf dem Konflikt- oder Schlachtfeld, Auslandsjournalistinnen erläutern Land und Mentalität der Menschen, Diplomatiejournalisten bringen ihre Expertise aus der Beobachtung unterschiedlicher Verhandlungstische ein.
Friedensjournalismus ist ein Schnittstellenkonzept, das drei Grundbedingungen erfüllen sollte: Um aus der nötigen Distanz heraus konfliktsensitiv berichten zu können, müssen Journalisten die Eskalations- und Deeskalationsdynamik von Konflikten einschließlich der dabei häufigen Fehlwahrnehmungen erfassen. Sie müssen den konkreten Konflikt kennen. Und sie benötigen ein vernünftiges Misstrauen gegenüber dem ihnen selbst allzu Plausiblen. Sie müssen also falsifikatorisch vorgehen und sich fragen, was gegen die eigene These spricht.
Marlis Prinzing, tagesspiegel.de, 16.5.2022 (online)