Ich bin ja in Frankfurt akademisch sozialisiert und habe über Demokratietheorie als Reaktion auf Habermas promoviert. Sein Ansatz war mir immer zu rationalistisch. Für mich fehlte Vertrauen als Voraussetzung gelingender Kommunikation. Ich habe mich gefragt, ob Vertrauen kommunikativ gewonnen werden kann oder über Sozialisation erworben werden muss, über Anerkennung und positive Erfahrung. Damit hat sich mir ein ganzer Bereich des Sozialen erschlossen, der bei Habermas außen vor blieb. … Corona hat doch gezeigt, wie wichtig es für die Bildung von Vertrauen ist, dass Politiker und Institutionen von eigenen Interessen absehen können. Dass sie sich am Gemeinwohl orientieren und dies für die Bevölkerung auch praktisch erfahrbar wird. Dadurch fühlen sich Menschen in ihren eigenen Interessen ernst genommen. Diese positive Erfahrbarkeit von Politik fehlt ja häufig. ….. Ich weiß nur nicht, ob die Entwicklung, die wir in der Pandemie beobachten konnten, mit Vertrauen richtig beschrieben ist. Schließlich hatten wir ja kaum die Alternative, etwas anderes zu tun, als was uns gesagt wurde. Man kleistert mit dem Generalbegriff Vertrauen vielleicht auch vieles zu.
Martin Hartmann, fr.de, 23.06.2020 (online)