Das sind nicht die richtigen Kategorien, um die Situation zu betrachten: ‚polarisiert‘ und ‚wütend‘. Wir müssen dem allgegenwärtigen Narrativ der Polarisierung und all dem Gerede über ‚Spaltung‘ und fehlende ‚Einheit‘ viel kritischer gegenüberstehen. In den meisten Fällen verschleiert es mehr, als dass es Licht ins Dunkel bringt, und oft geschieht dies absichtlich. Vor allem verdeckt es, was die eigentliche zentrale Herausforderung ist – die antidemokratische Radikalisierung der Rechten. Das Narrativ der Polarisierung ist so allgegenwärtig geworden, dass es die Tatsache, dass wir in wichtigen politischen, sozialen und kulturellen Fragen über weite Teile des politischen Spektrums hinweg einen relativ breiten Konsens finden, völlig überschattet. […] Wähler der Demokraten konsumieren und vertrauen einer viel breiteren Palette von Medienquellen als ihre republikanischen Pendants. Es gibt auf der ‚Linken‘ absolut kein Äquivalent zu dem, was auf der ‚Rechten‘ passiert, wo niemand von der konservativen Basis irgendetwas links von Fox News vertraut – und selbst Fox News wird nur vertraut, wenn und solange es nicht gegen die Kernsätze der MAGA-Orthodoxie verstößt. Darüber hinaus gibt es auf der ‚Linken‘ ein wesentlich größeres Interesse daran, ‚die Rechte‘ tatsächlich zu verstehen und zu analysieren – während selbst konservative Leitmedien wie die ‚National Review‘ ganz darauf fixiert zu sein scheinen, eine bizarre Vorstellung von einer radikal ‚woken‘ linken Bedrohung aufrechtzuerhalten, die nie über den Bereich der Karikatur hinausgeht.
Thomas Zimmer, MDR Altpapier, 23.05.2023 (online)