Politiker sollten erkennen, was Identitätspolitik ist: ein Schrei nach Teilhabe. In einer Demokratie muss auf Ungerechtigkeiten hingewiesen werden, gerade jetzt. …. Die Debatte um die sogenannte Identitätspolitik verläuft auch deshalb falsch, weil Teile der Mehrheitsgesellschaft empörter sind über die Gruppen, die Missstände benennen, als über die Missstände selbst. Es geht nicht um die Identität der Marginalisierten, es geht darum, wie man ihnen Teilhabe gewährt. Durch die Frontenbildung werden wichtige Gerechtigkeitsdebatten, die eine vielfältige Gesellschaft führen muss, im Moment nicht geführt. Gerade in Krisenzeiten kann sich eine Demokratie diese Leerstelle nicht leisten.
Jagoda Marinić, sueddeutsche.de, 18.03.2021 (online)