Womit man wieder bei Norbert Wiener wäre. Der basierte die Steuerungsmechanismen von Maschinen auf den Regelkreisen organischer Wesen. Das meistgebrauchte Erklärungsmodell für die Kybernetik ist ein Thermostat, der das Verhältnis zwischen Heizleistung und Raumtemperatur nach einem vorgegebenen Sollwert regelt. Wiener selbst warnte in „Cybernetics“ schon davor, dass das nur funktioniert, wenn ein Statistiker solche Steuermechanismen konstruiert, der die Elemente der Dynamik der jeweiligen Situation genau kennt. Im Nachfolgeband mit dem Titel „The Human Use of Human Beings“ mit dem Untertitel „Kybernetik und Gesellschaft“ warnte er dann schon davor, dass selbstlernende Maschinen sich der Kontrolle der Menschen entziehen und ihnen und ihrer Gesellschaft Schaden zufügen können. Je größer ein sich geschlossenes System über einen Zeitraum hinweg wird, desto unkontrollierbarer wird es, bis der Punkt des Chaos erreicht ist. Er erklärt das mit der Entropie und der Negativentropie, mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. So viel Physik führt sicherlich zu weit. Frances Haugens Forderung, genau das zu verstehen, richtete sich an die Bildung und die Forschung.
Ganz sicher ist aber, dass die digitale Welt gerade an einen Punkt des Kontrollverlustes gekommen ist, an dem die Kybernetik und ihre Steuerungsmechanismen ausgehebelt sind, die im Herz dieser Maschinen die Kreisläufe regeln sollen.
Elon Musks „Bro Culture“, Mark Zuckerbergs Robobürokratie und Googles Allmachtsansprüche sind da allesamt Teil des Problems. Die Mechanismen des Marktes ein anderes. Noch will niemand den Wendepunkt verkünden. Zugegeben, Chaos-Space klingt nicht ganz so verlockend wie Cyberspace. Es kann nur niemand sagen, man habe das nicht kommen sehen. Norbert Wieners „Cybernetics“ erschien 1948, der Folgeband über Kybernetik und Gesellschaft zwei Jahre später.
Andrian Kreye, sueddeutsche.de, 6.10.2022 (online)