Peter Laudenbach: Weil das Top-Management anderen Annahmen zum Trotz nicht allwissend ist, muss der Pragmatismus der Beschäftigten die von der Hierarchie verfügten Handlungsprogramme und Vorschriften bei Bedarf großzügig dehnen und unterlaufen. Nur so lässt sich das offizielle Regelwerk der Hierarchie an die Erfordernisse der täglichen Arbeit anpassen. Eine Organisation, in der sich alle zu jedem Zeitpunkt an alle formalen Regeln hielten, wäre schnell arbeitsunfähig: Regeln regeln nicht alles. Das lässt sich in Arbeitskämpfen mit dem Dienst nach Vorschrift nutzen, der den Betrieb so zuverlässig lahmlegt wie ein Streik. Das alltäglich im Unterholz der Informalität stattfindende Umgehen von Regeln, die an sich sinnvoll sein mögen, sich in der konkreten Situation aber als dysfunktional erweisen, nennt der Soziologe Niklas Luhmann „brauchbare Illegalität“. Illegal ist es, weil gegen Vorschriften der Organisation verstoßen wird. Brauchbar sind diese Regelbrüche, weil sie im Interesse der Organisation liegen. Ohne brauchbare Illegalität würde jede Organisation zügig kollabieren. Hier zeigen sich die Grenzen der Hierarchie in schöner Deutlichkeit.
Peter Laudenbach, sueddeutsche.de, 31.07.2024 (online)