Journalismus erfüllt seine Aufgabe nicht am besten, indem er in der Notlage seine Rolle verlässt und selbst beginnt, für die gute Sache zu kämpfen. Der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das Dilemma des freiheitlichen Staates in dem nach ihm benannten Diktum auf den Punkt gebracht: Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann. Diese schwer herzustellende Voraussetzung ist ein gesellschaftliches Wertefundament, das sich jenseits des Staates formt, zum Beispiel durch Religion oder Kultur.
Hier kann der Journalismus eine entscheidende Rolle spielen – nicht, indem er moralische Positionen durchsetzt, sondern indem er Räume schafft, in denen gemeinsame Werte überhaupt erst sichtbar und verhandelbar werden.
Er lebt davon, dass Menschen ihm zutrauen, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen – selbst dann, wenn diese der eigenen Überzeugung widersprechen. Das ist inmitten von Propaganda, Angst und Lagerdenken besonders schwer.
Ralf Heimann, MDR Altpapier, 30.05.2025 (online)