Diversität ist das Schlagwort der Stunde. Menschen mit dunkler Hautfarbe spielen Anwälte oder Ärztinnen, es gibt Serien über Personen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, und selbst bei ARD und ZDF sind homosexuelle Paare mittlerweile fast selbstverständlich. Eine Gruppe ist jedoch vergessen worden: Prominente Ausnahmen wie die kleinwüchsige Schauspielerin Christine Urspruch können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen nach wie vor kaum auftauchen. … Woran es jedoch noch mangelt, ist die selbstverständliche Integration, denn Figuren mit Behinderung werden in der Regel über ihre Einschränkungen definiert. Rühmliche Ausnahme ist der „Tatort“ vom RBB: In den Filmen spielt Tan Çağlar den Reviermitarbeiter für die Hintergrundrecherche. Der Schauspieler hat eine Rückenmarkserkrankung, er sitzt wirklich im Rollstuhl. Dabei agierten vor der Kamera „deutlich mehr Menschen mit Behinderung, als man glaubt“, sagt der Drehbuchautor Benedikt Röskau („Contergan“): „Viele Schauspieler sprechen darüber jedoch nicht, weil sie fürchten, nicht mehr besetzt zu werden.“ … Es sei daher umso wichtiger, sagt Erwin Aljukic, „dass Menschen mit Behinderung eine professionelle Ausbildung machen können, damit solche Verlegenheitslösungen in Zukunft nicht mehr nötig sind.“ Er fordert eine Diversitätsquote, damit endlich Bewegung in die Sache komme: „Ähnlich wie in Großbritannien sollte die Vergabe öffentlicher Gelder mit der Auflage verbunden sein, divers zu besetzen. Das wäre der Stein, der alles andere ins Rollen bringen würde.“
Tilmann P. Gangloff, M(verdi), 25.5.2022 (online)