Eine gänzlich andere Tonlage schlug Bernhard Pörksen in seinem Impuls „Kommunikationskonflikte und die Rolle unabhängiger Institutionen“ an. Er beobachtet eine „tektonische Verschiebung, eine Neukonstruktion unserer Informationswirklichkeit“. Diese werde von drei Paradoxien bestimmt.
Erstens: „Wir erleben eine gigantische Öffnung des kommunikativen Raums.“ Viele Menschen, die früher keine Stimme hatten, könnten sich jetzt zuschalten. „Gleichzeitig erleben wir eine ebenso massive mediengeschichtlich noch nie dagewesene Vermachtung“. Eine Refeudalisierung des kommunikativen Raums“ in Form einer Konzentration von Einfluss und Reichtum zugunsten ganz weniger Digitalunternehmen.
Zweitens: „Wir erleben, dass Menschen in großer Zahl der Auffassung sind, dass der Meinungskorridor immer enger wird.“ Gleichzeitig erlebe man, „dass sich die Grenzen des Sagbaren dramatisch verschieben“. Seit Elon Musk Twitter gekauft und „in eine Jauchegrube mit Namen X verwandelt“ habe, sei allein die Nennung des „N-Worts“ auf dieser Plattform um 500 Prozent gestiegen. „Antisemitische Propaganda, Fake News, Nonsens aller Art bleibt nun stehen.“
Drittens: Ein paar Jahrzehnte lang habe man das „Ende des Gatekeeper-Zeitalters“ gefeiert. Dies sei das neue Mantra des Silicon Valley: Statt Gatekeeper „deregulierte Unmittelbarkeit, alles ganz direkt, nichthierarchische Kommunikation auf Augenhöhe“. Als „besonders scheußlichen Begriff“ für das Ende des Gatekeeper-Zeitalters habe die Medienwissenschaft den Terminus „Disintermediation“ erfunden. Von einem solchen Ende könne jedoch keine Rede sein. Allenfalls die alten Gatekeeper wie etwa der Lokaljournalismus würden schwächer. Stattdessen gebe es „jede Menge weithin unsichtbare, demokratisch nicht legitimierte, rein privatwirtschaftlich agierende, aber öffentlich regierende neue Gatekeeper“: Plattformen, soziale Netzwerke, Suchmaschinen, „die auf intransparente Art und Weise Informationsströme für Milliarden von Menschen regulieren“.
Pörksens abschließender Befund: Derzeit erlebe man einen „Aufstieg polarisierender Institutionen und ein Schwächerwerden von integrierenden Institutionen“. Die Spalter würden mächtiger, die Brückenbauer schwächer. Was tun? Sicher sinnvoll sei Medienbildung zugunsten einer besseren Informationsökologie, Regulierung als „Bedingung von Möglichkeit kommunikativer Freiheit“.
Anstelle abstrakter Debatten über Demokratie, Meinungsfreiheit und publizistischer Vielfalt bedürfe es vor allem einer neuen Sprache, einer „Geschichte, die etwas erlebbar macht, die zeigt, was auf dem Spiel steht, wenn wir über das Ende von Demokratien reden, über die neue Macht der Desinformation, über die Schwemme verbaler Gewalt im öffentlichen Raum“. Eine Möglichkeit, so schloss Pörksen, „vielleicht ein letztes Mal so etwas wie Lagerfeuermomente, gemeinsame Realitätsmuster sehen zu können“. Günter Herkel, M, 24.04.2024 (online)