Dass in den meisten Debattenpapieren der letzten Jahre sich weder eine Diskussion der Kulturleistungen der SRG noch Vorschläge zur Entwicklung finden, ja das Kulturleben meist nicht einmal gestreift wird, disqualifiziert nicht nur die Debatte – diese Blindheit ist kulturpolitisch fatal. […]
Im Unterschied zur verbreiteten Auffassung im Hause SRG, Service public werde im Konzessionsbereich Wissenschaft, Bildung und Künste schon geleistet, wenn eine gewisse Sendezeit gefüllt wird oder eine gewisse Masse Hörerinnen oder Zuschauer versorgt worden ist, muss sich ein wahres Kulturprogramm des Service public daran orientieren, wie es mit den beschränkten Mitteln optimal dem Kulturleben dienen kann: eigenschöpferisch, ergänzend, anregend oder fördernd. Was und wie können wir «zur Bildung und kulturellen Entfaltung» beitragen, wie es Verfassung, Gesetz und Konzession wollen – das müsste die tägliche Losung sein.
Selbst die intelligenteste Messmethode taugt nicht, Qualität und Wirkung dieser Programmleistungen zuverlässig zu prüfen: es braucht dazu das kulturpolitische Urteil, basierend auf Wissen und Erfahrung in der Sparte, und zugleich, im Vorfeld wie im Nachhinein, den Diskurs unter den Akteuren. Und es braucht für die einzelnen Achsen des Kulturwirkens eigentümliche Fragestellungen und unterschiedliche Formen eines Dialogs auf Augenhöhe. […]
«Kulturberichterstattung» den Events entlang genügt nicht zur Pflege des medial vermittelten Reflexionsraumes für die Kultur und die Künste. Produktives Aneignen, in ästhetischen Dingen nicht selten ja übers kreative Missverständnis, bedarf der Herausforderung durch wertsetzende Diskurse – das meinte schon Benjamin, wenn er das Paradox in der dreizehnten Kritikerthese benennt: «Das Publikum muss stets Unrecht erhalten und sich doch immer durch den Kritiker vertreten fühlen».
Ein Qualitätsdiskurs muss den Hörer und die Zuschauerin ernst und in Anspruch nehmen. Um diesen zu führen und zu entwickeln muss ein nationaler Rundfunk die besten Köpfe – der Kreation wie der Kritik – versammeln, und sollte ihnen Zeit und Mittel geben, gestaltend zu arbeiten und nicht nur als «Content» Bruchstücke anderer Arbeiten weiterreichen zu müssen. Darauf müssen wir als Publikum und wir als Kulturschaffende heute erneut und gemeinsam pochen.
Mathias Knauer, infosperber.ch, 4.12.2022 (online)