Meinungsfreiheit, die bekanntlich keine Erlaubnis für Gedanken, sondern für Meinungsäußerungen darstellt (Art. 5 GG), läuft ins Leere, wenn bestimmte Meinungen oder Menschen vom Diskurs ausgeschlossen werden. Jeder einzelne darf jedem sagen: Lass mich mit deinem Geschwätz in Ruhe, ich habe schon eine Meinung. (Ob das biologisch sinnvoll ist, also der Orientierung in der Welt dient, ist eine andere Frage.) Der Journalismus insgesamt kann hingegen nicht einfach ignorieren, was ihm nicht in den Kram passt – weil er sonst nicht mehr Journalismus, sondern Propaganda ist. …
Wie viele Bücher bleiben ungelesen, weil Kulturjournalisten ihren eigenen, wenig originellen Kanon haben? Wie viele Petitionen, Demonstrationen oder Facebook-Posts bekommen nie die Chance auf Diskussion, wie innovativ oder konstruktiv auch immer sie sind?
Und wie viele Statements bleiben unhinterfragt, undiskutiert, ungeprüft, weil sich die Partner der öffentlichen Gesprächsinszenierung zu einig oder die journalistischen Interviewer zu devot sind, als dass die Konfrontation einer Meinung mit Gegenmeinungen zu fruchtbaren Erkenntnissen führen könnte. …
Wo werden Meinungen Jugendlicher im öffentlichen Diskurs berücksichtigt? Wo setzen sich General-Interest-Medien (die also nicht ohnehin nur Jugendliche als Zielgruppe haben) mit den Ansichten Minderjähriger auseinander, speisen sie in den demokratischen Prozess?
Dass die Fridays-For-Future-Bewegung in diesem Jahr plötzlich das Agendasetting stark beeinflusst hat, ist ja gerade ein Indiz dafür, dass dieser Teil einer Generation zuvor missachtet wurde, dass diesen hunderttausenden Jugendlichen eben nicht die Meinungsäußerungsfreiheit zuteilwurde, die ihr demokratisch zusteht, und die vor allem bei der Suche nach einer zukunftsfähigen bzw. demokratischen Politik hätte berücksichtigt werden müssen – zumindest journalistisch, ganz wertfrei.
Timo Rieg, telepolis, 28.12.2019 (online)