… eine Idee dahinter lautet: je mehr Freiheiten man Schauspielern lässt, desto mehr ihrer Fähigkeiten kommen dabei zum Vorschein. Ich bin also in der Regieanweisung minimalistisch, das Ergebnis ist extrem reichhaltig. …
Dieses Eintauchen in andere Identitäten geht im gescripteten Schauspiel verloren. Da klammern sich viele ans Drehbuch. Wenn ich das Wort „Textprobe“ schon höre, könnte ich kotzen. Wie wir hier reden, bin ich ja auch nicht Text, sondern ausgesprochenes Denken. …
Bei so hoher Sprachkunst lerne ich jedes Komma mit, bei anderen Formaten – besonders Krimi – dagegen wird Sprache geschrieben, wie sie im wahren Leben sein soll. Dann muss das auch stimmen und lebendig sein. Stattdessen ist es leider oft dramaturgisch geleiteter Text, der eben gerade nicht aus den Figuren herauskommt. Da höre ich immer das Papier in Hintergrund knistern. Da Lebendigkeit reinzukriegen, ist oft nicht möglich – und ich weiß von vielen Kollegen, die auch dieses Problem haben. …
Text lernen macht ebenso gemütlich wie die Möglichkeit, jeden Versprecher in der Wiederholung auszuräumen. Dabei gehören Versprecher zur Kommunikation unbedingt dazu. Aber anderen ins Wort zu fallen, was in normalen Gesprächen ständig passiert, findet in deutschen Filmen nicht statt. Das macht mich rasend!
Jan Georg Schütte, dwdl.de, 19.10.2021 (online)