Die EU und die europäische Presse kämpfen mitnichten für den in London im Belmarsh-Gefängnis inhaftierten Anarchisten Julian Assange. Ihr Mitgefühl, ihre Lobreden und ihre Preise gelten allein dem in der Nähe von Moskau festgehaltenen Nationalisten Alexei Nawalny.
Den beiden Häftlingen wird vorgeworfen, der Öffentlichkeit „vertrauliche Dokumente“ (Staatsgeheimnisse!) zugänglich gemacht zu haben: der eine auf seiner Enthüllungsplattform Wikileaks, der andere auf seiner Enthüllungsplattform Rospil. Beide fielen bisweilen durch politische Ansichten auf, die nicht jedermanns Geschmack sind, hochfahrend libertär der eine, hochfahrend nationalistisch der andere. Warum also misst „der Westen“ die beiden mit zweierlei Maß? Der Westen fürchtet sich vor Anarchisten einfach mehr als vor Nationalisten. Denn Nationalisten haben gegen autoritäres Regieren nichts einzuwenden, Anarchisten sehr wohl. Deshalb zeigt die Staatsgewalt – egal ob demokratisch oder autoritär – gegenüber Anarchisten extreme Härte.
Wolfgang Michal, FREITAG 50/2021 (online)