Seriöser Journalismus stößt an seine Grenzen, wenn Populismus immer radikaler wird. Zahlreiche US-Medien ziehen daraus Konsequenzen und kämpfen gegen das Krebsgeschwür aus Schwindeln, Verdrehen und Beleidigen – in einer Wortwahl, die hierzulande als schwerer Verstoß empfunden würde. Noch. … Selbst die „Süddeutsche“ zog sich nach dem unsäglichen Auftritt im ersten TV-Duell vergleichsweise verlegen aus der Affäre mit „Teils Faustkampf, teils Theaterstück“ und mit dem pseudo-salomonischen Urteil, hinsichtlich ihrer theatralischen Leistung hätten „beide ihre Sache ordentlich gemacht“. Dabei konnte jeder halbwegs Urteilsfähige erkennen, dass der egomanische Wüterich Trump seinen Gegner in puncto Dreistigkeiten und üblen Untergriffen um Längen hinter sich gelassen hatte. Diese Realität zu beschreiben, stellt nicht die Äußerung einer persönlichen Meinung dar, sondern handelt von einer Tatsache.
Wie unüblich das ist in der deutschen Medienwelt, zeigt sich exemplarisch am insgesamt reichlich verklemmten Umgang mit der AfD. Wer wirklich beschreiben will, wie sich deren Abgeordnete in den Parlamenten aufführen, wie Räpple, Baum, Wolle, Rottmann und Merz den Stuttgarter Landtag für unsägliche Auftritte nutzen, muss zu Begriffen greifen, vor allem zu Verben, an die NutzerInnen klassischer Medien nicht gewöhnt sind. AfDler rufen nämlich nicht dazwischen, sie kreischen, sich über ihren Tisch werfend (Claudia Wolle), sie kritisieren nicht, sie diffamieren. Und gar keine Option ist, darüber journalistisch zu schweigen nach der Melodie „Wir springen nicht über jedes Stöckchen“. Nur informierte Bürger können die Demokratie verteidigen, in der Familie, im Freundeskreis und am Arbeitsplatz.
Johanna Henkel-Waidhofer, kontextwochenzeitung.de, 07.10.2020 (online)