Kaum jemand hat das Lebenswerk von Henry Kissinger so verklärt wie deutsche Journalisten. […]
In Deutschland ist die Manipulation gelungen. Es sei ihm unbegreiflich gewesen, „wie ansonsten kritische Journalistinnen und Journalisten einen so widersprüchlichen Mann wie Henry Kissinger verehrt haben“, sagte Stephan Lamby, der sich vergangene Woche beim WDR an seine Anfangsjahre bei der „Zeit“ erinnerte. […]
Jahrzehnte später scheitert die Vierte Gewalt noch immer daran, dieses groteske Ausmaß an Gewalt angemessen zu benennen. Man kann ja Kissingers Verdienste aufzählen. Aber warum erscheinen die Errungenschaften, an denen es unter Historiker:innen durchaus Zweifel gibt, in der Berichterstattung fast durchweg als Tatsachen, während aktenkundige Tatsachen zu zweifelhaften Behauptungen umgedeutet werden? Wenn Kissingers Tod Anlass ist, das transatlantische Bündnis der Demokratien zu feiern – wieso bleibt dann unerwähnt, dass er wie kein Zweiter für den Vorwurf der Doppelmoral steht, den sich Autokraten heute zunutze machen, um dieses Bündnis zu unterlaufen?
David Will, uebermedien.de, 06.12.2023 (online)