Es ist psychologisch verständlich, aber nutzlos, mit arbeitsmoralischer Empörung über Null-Bock-Mentalität zu klagen und an die produktivistische Volksgemeinschaft zu appellieren. Aber der Wert der Arbeit wird erst steigen, wenn es wieder Gewerkschaften gibt, die Löhne erkämpfen, für die es sich lohnt, auch in anspruchslosen oder sinnlosen Jobs zu arbeiten – wenn es schon aus Rentabilitätsgründen nicht gelingt, sinnlose Arbeit zu automatisieren.
Und wenn die Angehörigen der akademischen Berufe wieder so etwas wie ein altbürgerliches Berufsethos entwickeln und statt in Kompensationskonsum auszuweichen, für Schulen kämpfen, in denen sie nicht früh resignieren müssen, für ein Gesundheitssystem, in dem sie wieder Ärzte sein können, für eine Industrie, in der sie als Ingenieure und Volkswirte gemeinsam daran arbeiten, die Erde zur Heimat aller zu machen.
Erst wenn wir die Null-Bock-Mentalität als rationale Reaktion auf ein irrationales Wirtschaften begreifen, kann das Nachdenken über Abhilfen fruchtbar werden.
Mathias Greffrath, deutschlandfunkkultur.de, 20.3.2023 (online)