Fasst man die Befunde noch einmal sehr knapp zusammen, kann man festhalten, dass sowohl die Themenvielfalt als auch die Akteursvielfalt in den neun untersuchten öffentlich-rechtlichen Formaten durchweg hoch war. Natürlich wurden einige Themen deutlich häufiger behandelt als andere. Und vor allem den sehr deutlichen Sichtbarkeitsvorsprung der Regierungs- gegenüber den Oppositionsparteien kann man auch kritisch sehen.
Die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Formate entsprach in dieser Hinsicht aber nahezu exakt der durchschnittlichen Berichterstattung der 34 Vergleichsmedien. Dies ist auch nicht erstaunlich, weil öffentlich-rechtliche wie private Medien letztlich derselben journalistischen Logik folgen. Die tagesaktuelle Berichterstattung von Nachrichtenmedien ist ereignisgetrieben, und die Ereignislage führt mehr oder weniger automatisch dazu, dass bestimmte Themen und Akteure stärker in den Fokus geraten als andere. Nachrichtenjournalisten haben ein weitgehend identisches, durch ihre Ausbildung geprägtes Verständnis davon, welche Ereignisse und Akteure so wichtig sind, dass über sie berichtet werden muss. […]
Allerdings kann man in der Berichterstattung über ein und dasselbe Thema durchaus auch mehr oder weniger stark unterschiedliche Akteure selbst zu Wort kommen lassen. Die öffentlich-rechtlichen Formate lassen dabei zumindest einfache Bürger und die aktuellen Oppositionsparteien im Verhältnis häufiger zu Wort kommen als die Vergleichsmedien und berichten in dieser Hinsicht folglich etwas vielfältiger.
In Bezug auf die Perspektivenvielfalt zeigen sich zwei bemerkenswerte grundsätzliche Befunde. Zum einen fiel die wertende Darstellung politischer Akteure (hier die Darstellung von Parteien und Politikern) in den öffentlich-rechtlichen Formaten bei weitem überwiegend negativ aus. In fast jedem der neun öffentlich-rechtlichen Formate wurden sowohl Parteien links der Mitte als auch Parteien rechts der Mitte im Saldo negativ bewertet.
Gleiches galt allerdings auch hier wieder für die 34 Vergleichs- und vor allem die 4 Extremmedien. Unterschiede zwischen den Medien zeigten sich nur im Hinblick darauf, wie groß der Überhang negativer Informationen war, und ob die Parteien links oder rechts der Mitte stärker kritisiert wurden. Natürlich erschienen in allen Medien auch Beiträge, die die Parteien positiv darstellten, sodass prinzipiell unterschiedliche Perspektiven vorhanden waren. Diese Beiträge waren aber in den meisten Formaten so klar in der Minderheit, dass von einer ausgewogenen Berichterstattung insgesamt eher nicht die Rede sein kann.
Alle hier untersuchten Nachrichtenmedien erweckten bei ihrem Publikum vielmehr überwiegend den Eindruck, dass weder Regierung noch Opposition in der Lage sind, die aktuellen Probleme zu lösen. […]
Zum anderen zeigt sich in Bezug auf die Positionierung entlang grundlegender gesellschaftlicher Konfliktlinien, dass sich die neun hier untersuchten öffentlich-rechtlichen Formate ausnahmslos (Sozialstaatsorientierung) bzw. überwiegend (liberalprogressive Grundhaltung) auf der Seite der Gesellschaft positionieren, die man vereinfacht ausgedrückt als politisch links der Mitte bezeichnen kann. Sie reihten sich damit auch hier wieder weitgehend nahtlos in die 34 Vergleichsmedien ein, die mit wenigen Ausnahmen ebenfalls Sozialstaatsorientierung mit einer liberal-progressiven Grundhaltung verbanden. […]
Insgesamt positionierten sich die neun hier untersuchten öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformate folglich relativ gleichmäßig in einem durch Außenpluralismus, aber auch eine leichte Linksschiefe gekennzeichneten Mediensystem. Sie fielen durch einen gegenüber den Vergleichsmedien weniger kritischen Umgang mit den aktuellen Regierungsparteien auf, gehörten aber ansonsten nicht zu den Medien, die sich am stärksten positionierten. Allerdings berichteten sie im Schnitt auch nicht unbedingt vielfältiger und ausgewogener als die Vergleichsmedien, obwohl die Ansprüche an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in dieser Hinsicht durchaus höher sind.
So ist zum einen offensichtlich, dass zumindest während unseres Untersuchungszeitraums in den meisten Formaten ausreichend Raum für eine Stärkung konservativer und marktliberaler Positionen vorhanden gewesen wäre. Wie dies gelingen kann, ohne es im Einzelfall zu erzwingen, ist sicher eine schwierige Frage.
Man muss aber bedenken, dass ein Teil des Publikums solche Positionen vertritt und vermutlich erwartet, sie auch in den öffentlich-rechtlichen Formaten (häufiger) wiederzufinden. Hier geht es auch um das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil Menschen vor allem solchen Medieninhalten vertrauen, in denen sie (auch) ihre eigene Weltsicht bestätigt finden. Dabei ist plausibel, dass ein nachlassendes Vertrauen mittelfristig auch zu einer nachlassenden Nutzung führen wird. Hieran kann niemandem gelegen sein, der einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk für eine wichtige Grundlage demokratischer Staaten hält.
Zum anderen betrifft dies den starken Fokus auf negative Darstellungen aller Parteien, der sicher nicht dazu geeignet ist, das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zu stärken. Hier könnte eine konstruktivere Berichterstattung sinnvoll sein, die stärker auch Problemlösungen und politische Erfolge einbezieht. Dabei geht es selbstverständlich nicht um kritiklose Berichterstattung oder die „gute Nachricht des Tages“. Es geht letztlich um eine Selbstverständlichkeit: Die Menschen sollten nicht nur über politische Probleme, sondern auch über Erfolge informiert werden, denn auch diese sind für ihre politische Meinungsbildung relevant. Auch wenn wir weit davon entfernt sind, monokausale Erklärungen für den Erfolg extremer Parteien liefern zu wollen, ist doch offensichtlich, dass diesen der Erfolg in einem Umfeld leichter fällt, in dem alle etablierten Parteien überwiegend als erfolglos und inkompetent charakterisiert werden.
Marcus Maurer, Simon Kruschinski, Pablo Jost: Fehlt da was? Perspektivenvielfalt in den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformaten. S. 19 (online, Hervorhebung durch den Verfasser)