Man erfährt in der Einleitung, dass die ZDF-Mediathek „inzwischen über 3 Millionen registrierte Nutzer:innen, von denen sich rund 800.000 pro Monat mindestens einmal anmelden“, habe. Dabei lässt sich die Mediathek ja auch unangemeldet nutzen. Oder sind sehr viele von den sehr, sehr vielen Krimis, die das ZDF laufend neu produziert, wiederholt und online ausspielt, altersbeschränkt?
Grün erzählt dann, dass das ZDF sich „mit Google oder auch AWS … aktiv“ und ohne „Berührungsängste“ über Empfehlungsalgorithmen austausche, immerhin mit „klaren Leitlinien“. Bei AWS handelt es sich um die höchstgradig profitable Cloud-Sparte des bereits erwähnten Mega-Datenkraken Amazon, die auch in Deutschland beste Geschäfte macht. Worauf es dem ZDF ankomme:
„Für die Mediathek ist das sogenannte Sehvolumen, also die Zeit, die Nutzer*innen bei uns verbringen, eine ganz entscheidende Währung. Gemessen daran haben die automatisierten Empfehlungen über die Jahre stark in ihrer Bedeutung zugenommen. Gerade in den nativen Apps auf Mobile und SmartTV sowie HbbTV nutzen viele Nutzer*innen den Weg über ‚Das könnte Dich interessieren.‘ Auf diesen Plattformen kommen bis zu 50 Prozent des Sehvolumens über Empfehlungen auf der Startseite zustande.“
Heißt: Die ZDF-Mediathek erhöht „Sehvolumen“/Verweildauer ihres Online-Publikums erfolgreich durch eigene Empfehlungen, so wie es Googles Youtube mit seinem so erfolgreichen wie umstrittenen Algorithmus ja auch tut. Doch bemühe sich das ZDF um Unterschiede, etwa:
„Recency Bias und Popularity Bias (es werden nur Inhalte gelernt und empfohlen, die ohnehin und vor allem in jüngster Zeit populär sind) gegenzusteuern, weil diese auch abträglich sind für die Vielfalt“.
Nicht zuletzt die zahlreichen Anglizismen und Semi-Anglizismen („Serendipität“), die der Techniker gerne verwendet, lassen ahnen, wie es hinter den Hochglanz-Oberflächen der Mediatheken zugeht. Was im Interview nicht zur Sprache kommt: ob die (beide ja in Mainz sitzenden) Mediatheken von ZDF und ARD bei ihrer Suche nach öffentlich-rechtlichen Empfehlungsalgorithmen bereits zusammenarbeiten, wie es ja vor knapp einem Jahr pompös („Schatz an öffentlich-rechtlichen Qualitätsinhalten“, „mehr als 250.000 Filmen, Dokumentationen, Satire- und Serienstoffen“) verkündet worden war, oder ob doch erst mal die Sehvolumen-Erhöhung beim eigenen Publikum im Vordergrund steht.
Christian Bartels, MDR Altpapier, 17.5.2022 (online)