Darüber hinaus gab es in der Wendezeit konkrete Gesetzesinitiativen wie den Beschluss der Volkskammer über die Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit vom 5. Februar 1990, die eine gesamtdeutsche Diskussion verdient gehabt hätten. Der Medienbeschluss etwa sollte ein erster Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Mediengesetz sein, das auf alle Medien angewendet werden und konkrete Freiheiten ausgestalten sollte. Er war Ausdruck basisdemokratischer Diskussionsprozesse, die von allen wichtigen reformorientierten DDR-Akteur*innen verhandelt und beschlossen worden waren. Noch im Juni 1990 erklärte Jürgen Schwarz, Vorsitzender des Volkskammer-Medienausschusses, mit diesem Gesetz einen Beitrag zu einer „neuen Medienordnung für ganz Deutschland“ leisten zu wollen. Angedacht war beispielsweise die Schaffung eines Medienkontrollrats, der eine transparentere Rückkoppelung der Medien an gesellschaftliche Gruppen gewährleisten sollte. Zudem sollten Medienschaffende, die öffentlich publizierten, selbst für ihre Arbeit verantwortlich sein und gleichzeitig das Recht erhalten, „die Ausarbeitung eines Materials zu verweigern, wenn Themenstellung und Auftrag ihren persönlichen Überzeugungen“ widersprachen. Dieser aus der DDR-Erfahrung gespeiste Fokus auf die Verantwortung und Autonomie einzelner Journa list*innen („innere Pressefreiheit“) unterschied sich deutlich vom westdeutschen Modell des Tendenzschutzes, das institutioneller Autorität Vorrang gewährt.
Doch diese und andere innovativen Impulse, die über die bestehenden Normen hinausgingen, blieben unter der Dominanz westdeutscher politischer Akteur*innen letztlich unberücksichtigt. Warnungen, dass strukturelle Schwächen des öffentlich-rechtlichen Systems nicht in den Osten übertragen werden sollten (etwa Parteienproporz und -dominanz in den Gremien), wurden ignoriert. Nicht zuletzt deshalb gab es im Osten Deutschlands nach 1990 kaum eine eigenständige rundfunkpolitische Entwicklung.
Angesichts aktueller Krisen könnte es sich lohnen, damals verfolgte Visionen eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems neu zu betrachten. Denn wirkliche Reformimpulse sind derzeit rar. Die Intendant*innen, von denen grundsätzliche Reformen erwartet werden, sind selbst Gewächse des öffentlich-rechtlichen Systems. Dass ausgerechnet von ihnen frische Ideen kommen sollen, erscheint daher zweifelhaft. So aber läuft der öffentlich-rechtliche Rundfunk Gefahr, ein selbsterhaltendes System zu bleiben. Dagegen zeigt ein Blick in die Rundfunkgeschichte des Ostens: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist auch anders vorstellbar. Man muss die Reformimpulse nur aufnehmen: aus den Redaktionen, von den Mitarbeiter*innen und, ja, auch aus der Bevölkerung. In Ost wie West. (pdf S. 47)
Mandy Tröger, APuZ 25/2023, 19. Juni 2023 (pdf)