Zitiert: Ordnungsstiftenden Kraft des linearen Fernsehens

Jetzt gucken alle Netflix, hören Podcasts und das Fernsehen ist tot? Wetten, dass nicht …? Die schwindende Bedeutung vertrauter Medien zeigt sich daran, dass sie neue Namen erhalten. Als sich die Handys in den späten Neunzigern etablierten, wurde für das Telefon zu Hause das Wort „Festnetz“ gebräuchlich. In dem Maße, in dem Streamingdienste und Mediatheken seit 15 Jahren die Fernsehgewohnheiten verändern, hat sich für das alte Programmmodell die Bezeichnung „lineares Fernsehen“ durchgesetzt. Die Marginalisierung des vormals Selbstverständlichen stellt sich sprachlich als Verfeinerung dar. […]

Die neuen Technologien können die Strahlkraft des linearen Fernsehens also in Ausnahmefällen sogar verstärken, was in ähnlicher Weise für die ARD-Tagesschau um 20 Uhr gilt, die im November 2023 durchschnittlich über zehn Millionen Zuschauer gesehen haben. […]

Es wäre aufschlussreich zu wissen, wie sich die Quoten der beliebtesten Fernsehshows und Nachrichtensendungen inzwischen nach linearer Nutzung und Livestream aufschlüsseln. Dies ist aber nach Auskunft der Sender angeblich noch nicht möglich. […]

Anteil an der ordnungsstiftenden Kraft des linearen Fernsehens hat auch die Tatsache, dass etwa die Hauptnachrichten der Tagesschau, so aufwühlend ihr Inhalt sein mag, immer genau 15 Minuten dauern. Der starre Rahmen des Fernsehprogramms domestiziert die Welt. […]

Die neuen Übertragungstechnologien sind von Entgrenzung geprägt, sowohl im Hinblick auf den frei wählbaren Zeitpunkt, zu dem der „content abgerufen“ wird, als auch im Hinblick auf die Länge der Formate, für die es weniger Beschränkungen gibt. […]

In jüngeren Genres wie Serien oder Podcasts ist der Einfluss der neuen Übertragungsbedingungen auf die Ästhetik der Produkte erkennbar; die Entgrenzung des Rahmens bringt künstlerische Erzeugnisse hervor, die sich nicht um Formbewusstsein und Verdichtung kümmern müssen, wie etwa „Laber-Podcasts“, die das Ausschweifende schon im Genrenamen tragen.

Das lineare Fernsehen ist daher 2023 von einem bestimmten Ungleichgewicht zwischen seiner öffentlichen Wahrnehmung und seiner tatsächlich anhaltenden Macht geprägt. […]

Das Programm kann ein Fundament sein, das dem Alltag vieler Menschen mehr Stabilität verleiht als das haltlose Flirren der Wahl.

Andreas Bernard, sueddeutsche.de, 08.12.2023 (online)

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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