Ein Redakteur eines ungenannt bleibenden anderen Mediums hatte seinen Vorgesetzten vorgeworfen, ihn fortwährend als dummen „Ossi“ stigmatisiert und gedemütigt zu haben, und forderte wegen der darauffolgenden Erkrankung von seinem Verlag ein Schmerzensgeld. Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage nun vor allem mit der Begründung zurück, dass Ostdeutsche nicht Mitglieder einer ethnischen Gruppe oder Träger einer einheitlichen Weltanschauung seien; deshalb handele es sich nicht um eine Benachteiligung im Sinne des Paragraphen 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. …
Offensichtlich lässt das Argument der Stuttgarter Richter, Ost- und Westdeutsche teilten eine „gemeinsame Kultur der letzten 250 Jahre“, die vierzig Jahre in jüngerer Vergangenheit außer Acht, in denen die Deutschen in nicht nur verschiedenen, sondern entgegengesetzten Gesellschaftssystemen lebten. Und deshalb bleibt es nicht ohne Folgen, dass die gesamtdeutsche Öffentlichkeit, die sich seit 1990 formiert hat, in Wirklichkeit eine von Medien im westdeutschen Besitz und mit überwiegend westdeutschem Personal gestaltete westdeutsche Öffentlichkeit ist.
Mark Siemons, faz.net, 20.2.2022 (online)