Aber die vergangenen Wochen haben auch gezeigt, dass sich bei den Protesten eine merkwürdige Ost/West-Spaltung abzeichnet. Während sich in ostdeutschen Städten allenfalls mehrere Hundert Menschen versammeln, sind es in Stuttgart oder München gleich mehrere Tausend. Bemerkenswert ist dabei, dass es selbst in protestfreudigen Ländern wie Italien oder Frankreich – die zugleich deutlich härtere Einschränkungen hinnehmen mussten – bislang zu keinen solchen Demonstrationen kam. Dort war die Wahrheit des Virus aber auch eine andere. …. Verkürzt könnte man sagen, der Pegidist des Westens muss wohl ein Impfgegner sein. Aber leider bleibt diese Beobachtung bis auf Weiteres medial folgenlos. Täglich erwarte ich Schlagzeilen wie „So isser, der Wessi“ – und werde täglich enttäuscht. Leider fragt auch niemand, ob die Münchner Polizei auf ihrem „Impfgegner-Auge“ blind ist, da sie ja offenbar widerrechtliche Zusammenrottungen dieser Impfgegner zulässt. Ist da im dreißigsten Jahr der deutschen Einheit etwa das demokratische Fundament im Schwinden? Vollzögen sich solche Aufmärsche in Halle oder Dresden, würden derartige Debatten wohl geführt werden. Es bleibt also festzuhalten, dass die deutsche Wutbürgerschaft auch in ihren Ängsten offenbar geschieden ist. Sehen sich die ostdeutschen Vertreter vor allem von Zuwanderung bedroht, so gruselt sich der westdeutsche Teil vor allem vor Spritzen und Handystrahlen.
Ulli Wittstock, MDR Sachsen-Anhalt, Kolumne, 22.05.2020 (online)