Die politische Autobiografie hingegen krankt zu oft daran, dass sie nur als Teil einer Selbstinszenierung gedacht ist – und dass das Publikum das Spiel durchschaut. Zu viele schnell zusammengeschusterte Werke kommen auf den Markt […]
Natürlich haben noch jeder und jede, die ihre Memoiren schrieben, dies auch getan, um ein möglichst gutes Bild in der Geschichte und in den Augen späterer Historiker zu hinterlassen. Manche veröffentlichen Bücher schon während ihrer Amtszeit, um Anhänger zu gewinnen […] Natürlich wollen die Erzähler und Erzählerinnen ihre Sicht der Dinge darlegen, die eigene Bedeutung unterstreichen, die Leserschaft für ihre Interpretation des eigenen Wirkens gewinnen.
Das ist legitim und einer klugen Leserschaft bewusst – doch wie kostbar, wenn die Autobiografie etwas anderes enthält: Ehrlichkeit, Offenheit, Authentizität. […]
Auch Churchill wollte die Deutungshoheit über sein Bild in der Nachwelt bestimmen, natürlich. […] Aber er war ein Mensch, der in seinen Memoiren tiefe Einblicke erlaubte in das, was ihn bewegt und angetrieben hat. Seine Erinnerungen sind deshalb große Literatur, und die von Angela Merkel nur ein Bestseller im Herbst 2024.
Joachim Käppner, sueddeutsche.de, 29.11.2024 (online)