Der Soziologe Steffen Mau warnt hingegen vor voreiligen Schlüssen: „Die Charaktermaske des reinen Kosmopolitismus trägt nur eine kleine Gruppe. Aus der Anerkennung von sexueller Diversität kann man eben nicht umstandslos auf die Haltungen zu Migration oder dem Klimaschutz schließen; polarisierte Meinungen finden sich allenfalls bei der Frage, ob Migration als kulturelle Bereicherung empfunden wird oder man Zuwanderung begrenzen sollte. Was Fragen der Diversität und der Anerkennungsbereitschaft nicht heteronormativer Lebensformen und Identitäten angeht, stehen die unteren Schichten nicht im deutlichen Kontrast zu den akademischen Mittelschichten; Gleiches gilt für die Positionen zum Klimawandel.“ Stark polarisierte Positionen existierten in der Gesellschaft nicht per se, vielmehr finde man zwischen schwach besetzten Polen jeweils eine große „Welt des Dazwischen“. Zu diesem Fazit gelangen Mau und sein Forscherteam nach der empirischen Prüfung, wie sich Einstellungen auf vier Konfliktachsen verteilen:
- „(1) Oben-Unten-Ungleichheiten, bei denen die ökonomische Ressourcenverteilung im Mittelpunkt steht,
- (2) Innen-Außen-Ungleichheiten, die sich auf territorialen Zugang, Migration und Mitgliedschaft beziehen,
- (3) Wir-Sie-Ungleichheiten, die die gesellschaftliche Anerkennung von Diversität umfassen, und
- (4) Heute-Morgen-Ungleichheiten, die sich auf Fragen der Generationengerechtigkeit und ökologischen Nachhaltigkeit richten. […]
Der Kernbefund ist, dass sich […] kein zweidimensionaler Einstellungsraum zeigt, bei dem die alten ökonomischen Ungleichheiten den neuen Ungleichheiten gegenüberstehen.“
Kurzum: Es gibt nicht eine klar definierte „linksautoritäre“ Wählerschaft, die nur auf die Repräsentation durch die SW-Partei wartet. Ohnehin repräsentieren Parteien nicht einfach das, was im Wahlvolk an Stimmungen, Einstellungen und Positionen vorhanden ist. Sie repräsentieren das, was sie zuvor an Unterschieden und Polarisierungen geschaffen haben. Entscheidend für den Parteienwettbewerb ist, ob und wie mindestens zwei dieser Konfliktachsen kombiniert werden. „Ein soziales Schisma ist vor allem dort zu finden, wo politische Unternehmer, Massenmedien und Parteien Konfliktthemen besonders stark bespielen und akzentuieren – ‚Lager‘ mit konsistenten politischen Glaubenssystemen werden politisch und medial hergestellt.“
Zitiert von Horst Kahrs, blaetter.de, 10/2023 (online)