Aber es fällt auch auf, dass Politiker keineswegs nur noch als diejenigen auftreten, die das Heft des Handelns in der Hand haben. Immer häufiger begegnen sie uns ihrerseits als erlebende Subjekte – und sie stellen dieses Erleben als Teil ihrer Politik aus. […]
Der Politiker als Erlebender, als Reagierender, als Beratener und Sich-selbst-Beobachtender wird immer mehr zum Normalfall. […]
Feldenkirchen konfrontierte diese Politiker also weniger mit investigativen Fragen als mit ihrem eigenen medialen Bild. Die eingeladenen Politiker müssen nämlich vor Publikum ihr eigenes Wirken erleben. Hier gerät nun tatsächlich die Art und Weise des Reagierens selbst zur entscheidenden politischen Botschaft. […]
In diesem medial neu formatierten Blick von Zuschauern und Zuhörern deutet sich ein Wandel politischer Ansprache an, bei der das Erleben zu einem integralen Bestandteil von Politik wird. […]
Das eigene Erleben wird zunehmend als das eigentlich politische Handeln beobachtet.
Diese Entwicklung hat sicherlich mit dem Wandel der Medien und Arenen politischer Kommunikation zu tun. Sie passt auch in eine Zeit, in der sich Politik in immer engerer Taktung mit globalen Krisen konfrontiert sieht und in der die Rhetorik von Alternativlosigkeit nicht länger zu verfangen scheint. Worin also die Chancen einer derart das Erleben ausstellenden Politik liegen, ist kaum zu übersehen. Welche Risiken damit allerdings auch verbunden sind und ob sich eine solche politische Selbstdarstellung auf die Dauer abnutzen kann, gilt es aufmerksam zu verfolgen.
Julian Müller, Astrid Séville, sueddeutsche.de, 18.12.2022 (online)