Er suchte das Spezielle, er wollte eine Kommunikation nicht über die Ähnlichkeiten aufbauen, sondern über die Unterschiede zwischen denen, die kommunizieren. So kommt man besser in einen echten Austausch, statt immer nach dem Abgleich zu suchen. Das ist ein völlig neuer Entwurf, mit dem alle Segregationsprobleme abgeräumt werden: Wenn wir verstehen, dass wir völlig verschieden sind, dann ist es nicht mehr so interessant, die Hautfarbe, die sexuelle Orientierung, das Geschlecht oder was auch immer zu taxieren. Wir sitzen einander als Aliens gegenüber. […]
Nein, im Gegenteil, es ist der Eintritt in eine wahre Gemeinschaft. In ihr sind die Menschen gleichwürdig und werden nicht nach Ähnlichkeiten und Sympathien selektiert. Das sind gesellschaftlich absolut relevante Fragen, die Pollesch ins Theater getragen hat, als noch keiner über Identität und Gender diskutiert hat. Das Theater funktioniert noch heute oft über Rollenzuschreibungen. Da ist schon so viel klar, fest und verloren, wenn im Stück steht: Eine Person betritt die Bühne. Alle werden denken, dass es sich bei dieser Person um einen weißen, heterosexuellen Mann handelt, weil alles andere als Abweichung verstanden wird und erst einmal markiert werden muss. Das, was nicht markiert werden muss, beschreibt das Dominierende, die Herrschaft. Das wollte Pollesch aufbrechen. Aber nicht im Widerstreit. Mit der antagonistischen Dramaturgie der herkömmlichen Denkweise lassen sich viele Probleme gar nicht beschreiben, geschweige denn lösen.
Martin Wuttke, berliner-zeitung.de, 08.12.2024 (online)