Ohnehin weisen die bisherigen Studien trotz wichtiger Erkenntnisse auch Lücken auf. Da wären zunächst die oft sehr kleinen Stichproben und kurzen Untersuchungszeiträume. Für wirklich repräsentative Aussagen bräuchte es Tausende Testaccounts, die demografisch die Gesamtbevölkerung abbilden, sowie Langzeitbeobachtungen über Monate oder Jahre hinweg. Nur so ließen sich kurzfristige Schwankungen von echten Trends unterscheiden.
Aufschlussreich wären auch Vergleiche zwischen verschiedenen Plattformen, um deren spezifische Effekte zu identifizieren. Zwar deuten die vorliegenden Daten darauf hin, dass TikTok und X anfälliger für eine Verzerrung zugunsten rechter Inhalte sind als etwa Instagram. Doch ohne systematische Gegenüberstellung lässt sich das kaum belegen.
Der Königsweg wären experimentelle Designs, bei denen Nutzergruppen gezielt unterschiedlichen Algorithmen ausgesetzt werden. Auf diese Weise ließe sich der Einfluss der Empfehlungssysteme viel klarer nachweisen als durch reine Beobachtungsstudien. Doch dafür bräuchte es die Kooperation der Plattformen – und die ist mehr als unwahrscheinlich. […]
Es gibt eine ganz andere, naheliegende Begründung für den Erfolg der AfD in sozialen Medien. Die Partei hat schlicht sehr viel früher und sehr viel professioneller auf diese Kommunikationsform gesetzt und auch Geld investiert. Es braucht gar keine großen Untersuchungen und Netzwerkanalysen, um festzustellen: Die AfD im Bundestag hat auf TikTok 563.300 Follower, die SPD-Fraktion 159.700 Abonnenten und die Grünen klägliche 24.000. Schaut man sich diese Relationen an, können Sozialdemokraten und Grüne fast schon froh sein, dass sie auf der Plattform in dem Maße ausgespielt werden, wie das derzeit geschieht.
Harald Neuber, Telepolis, 22.02.2025 (online)