Zehn Jahre nach Beginn der bedeutenden Enthüllungen über die globale Überwachung durch Geheimdienste ist die journalistische Auswertung der von Edward Snowden bereitgestellten Dateien unbefriedigend. Große Medien haben sich dem Druck der betroffenen Regierungen gebeugt und die Auswertung der Dokumente abgebrochen oder sogar behindert. […]
Appelbaum nennt die Festplattenzerstörung „einen Wendepunkt für die englischsprachige Presselandschaft, denn nun ist es Geheimagenten erlaubt, in einer Redaktion Quellenmaterial zu zerstören“. Das sei Betrug am Informanten Snowden, der mindestens lebenslange Haft riskierte, indem er die Dokumente zur Verfügung stellte. Der damals in Berlin lebende Appelbaum kritisiert auch, dass der „Guardian“ die Aktion, zu der er sich im Vorfeld bereit erklärt hatte, nicht ihm und Poitras angekündigt hatte: „Was, wenn es länderübergreifend koordinierte Razzien bei allen Leute gegeben hätte, die an dem Material arbeiteten?“
Der Überwachungsexperte betrachtet das Vorgehen der „Guardian“-Verantwortlichen als „Akt der Unterwerfung“. Sie hätten ihr Quellenmaterial stattdessen bis zum höchsten Gericht verteidigen und währenddessen mehr davon veröffentlichen müssen. […]
Die Snowden-Dokumente stehen zum allergrößten Teil so gut wie niemandem zur Verfügung, und große Medien sind bei der Veröffentlichungsarbeit früher oder später eingeknickt. „Zu Beginn der Enthüllungen gab es die Idee, das Material einer Stiftung zu geben“, erinnert sich John Goetz. „Das ist aber leider nicht passiert.“
Ralf Hutter, verdi.de, 02.06.2023 (online)