Nach IM-Vorwürfen wollte der Berliner Bernd Lammel wissen, was die Stasiunterlagenbehörde über ihn herausgab. Er erfuhr, dass nach ’89 mehr Akten zu ihm entstanden als vorher. […]
„Stasivorwürfe“ wird man nicht wieder los. Das erlebt fast jeder, dem sie mal gemacht wurden. Auch deshalb sind diese Vorwürfe nach 1989 zu einer so mächtigen Waffe gegen Menschen, vor allem gegen Ostdeutsche, geworden. Selbst wenn sie sich schnell als falsch oder überzogen herausstellten. […]
Sieben Treffberichte. Das Gutachten der Historikerin, das ihn entlastete, ist 26 Seiten lang. Und acht Jahre alt. Der Verdacht gegen Lammel hält sich trotzdem, das Gerücht, auch im DJV wird es weiter herumerzählt. Der Lammel sei bestimmt trotzdem IM gewesen, heißt es. Aber er habe auch Solidarität von Kollegen und Freunden erlebt, sagt Bernd Lammel. […]
Er stellte selbst einen solchen IFG-Antrag. Am 22. Dezember 2020, zwei Tage vor Weihnachten. An die BStU. Wer hatte sich dort wann nach ihm erkundigt, was hatte man über ihn herausgegeben? […]
Der Antrag wurde schnell bewilligt. Lammel konnte im Januar 2021 in die Behörde fahren. Dort standen jene 16 Aktenordner zu seiner Person. Es handelte sich nicht etwa um Stasiakten, nicht um Material aus Zeiten der DDR. Sondern um Akten, die angefallen waren, als Journalisten in der Behörde nach Material zu ihm geforscht hatten. […]
Er fand die Namen von 164 Verwandten, Bekannten, Kollegen aus der Gewerkschaft. Darunter Dutzende Leute, die er lange nach dem Ende der DDR kennengelernt hatte, Westdeutsche, Freunde aus dem Ausland. Zu all diesen Menschen hatte die Behörde nach Stasiunterlagen gesucht – um herauszufinden, ob unter ihnen nicht vielleicht ehemalige Spitzel waren oder sich Hinweise auf eine Spitzeltätigkeit von ihm finden ließen. Sie alle waren offenbar nur in die Recherchen geraten, weil sie Bernd Lammel kannten. […]
Sieben Treffberichte eines Stasi-Majors, 26 Seiten Gutachten, 18 Aktenordner in der Stasiunterlagenbehörde. 280 Stunden Arbeit in einer weltweit tätigen Großkanzlei.
Wiebke Hollersen, berliner-zeitung.de, 02.06.2024 (online)