Doch „Synchronisieren“ ist eine Form der Kunst, ein Handwerk, das beginnt, schon bevor ich in meiner Studiokabine stehe.
Zuerst muss die fremde Sprache übersetzt werden. Dann schreiben Dialogbuchautorinnen und -autoren ein Synchronbuch, das im besten Falle lippensynchron ist und den Ton und die Intention des Films durchgehend trifft. Aufnahme- und Produktionsleitung stellen die Studioteams zusammen, sie besetzen und organisieren. Im Aufnahmestudio sind wir dann zu viert: Regie, Schnitt, Ton und Synchronsprecherin. Die Person im Cut und ich sind in einem Raum, hinter einer Scheibe sitzen die Kolleginnen und Kollegen in Regie und Ton, die auf einen kleinen Knopf drücken, um mit uns zu kommunizieren.
Ich stehe also im dunklen Studio, vor mir nur ein großer Bildschirm, mein Text und ein Mikrofon. Der Film oder die Serie, in der ich eine Rolle übernehme, wird in kleine Sequenzen, sogenannte Takes, eingeteilt. Ich sehe mir zuerst den Abschnitt an, manchmal auch zweimal oder dreimal, und mogle dann laut den deutschen Text auf die Lippen meiner Figur, damit es sich so anhört, als spräche sie deutsch, egal in welcher Sprache der Film ursprünglich aufgenommen war.
Für den Cut muss ein Take gut aussehen, für den Ton muss er gut klingen, für die Regie gut gespielt sein. Erst wenn alle drei zufrieden sind, kann man zur nächsten Sequenz übergehen. Für mich ist das Schauspiel das Wichtigste. Man liest nicht nur einen Text ab und spricht ihn ohne Regungen vor sich hin, ich will jeden einzelnen Take fühlen, auch körperlich. Wenn die Figur sich krümmt, versuche auch ich, mich im Studio zu verrenken, damit es sich anhört, als läge ich zusammengekauert auf dem Sofa. Wenn die Figur weint, lasse ich mich emotional stark darauf ein und für Horrorfilme, wie zuletzt in „Final Destination 6“, schreie ich mir die Seele aus dem Leib.
Eine meiner liebsten Regisseurinnen, bei der ich vor vierzehn Jahren meinen ersten großen Kinofilm gesprochen habe, hat mir einmal gesagt, ich solle dabei nicht auf die Lippen des Originals schauen, sondern nur in die Augen. Dort sitzt nämlich die Emotion. Diesen Rat beherzige ich bis heute – und genau das ist es, was KI nicht kann. Eine menschliche Emotion herstellen.
Maresa Sedlmeir, sueddeutsche.de, 27.10.2025 (online)

