Nie tauchten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so viele Ostdeutsche auf wie nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen. Sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen – selbst im Verhör. […] Die Berichterstattung über die Landtagswahlen erinnern mich an eine True-Crime-Serie. Titel: „Die Unberechenbaren“. Jede Folge hört mit einem Cliffhanger auf. Man weiß nie, welches Zitat aus der Vergangenheit von Sahra Wagenknecht diesmal ausgegraben wird, vor wem Merz als Nächstes wegrennt, ob Scholz zurücktritt. Und wo steckt eigentlich Robert Habeck? […] Mein Mann fährt mich nach Hause, ich lege mich aufs Sofa und sehe Ost-Dokus in Dauerschleife, jede zweite beschwört die „Demokratie in Gefahr“, oft fallen die Worte „historisch“ oder „Zäsur“. […] In Talkshows sitzen auf einmal so viele Ostdeutsche wie noch nie. Sie sächseln, fahren Politikern in die Parade und wirken, als hätten sie seit Jahren auf diesen Moment gewartet. […]
Man hört jetzt oft, Ostdeutsche hätten Angst vor Veränderungen. Aber von meinem Krankenlager aus habe ich den Eindruck, es ist eher umgekehrt. Die Westdeutschen sind es, die Angst haben. Angst vor den Wählern, dem Volk. Und ein bisschen auch vor ostdeutschen Frauen, die selten so cool und selbstbewusst wirkten wie in diesen Tagen.
Anja Reich, berliner-zeitung.de, 11.09.2024 (online)