Udo Jürgens wurde zum Weltstar, weil er sich in jeden Winkel seiner Seele hat schauen lassen. Man kann sich ja mal eine der Schlagershows anschauen, die noch immer fast wöchentlich das deutsche Fernsehen verstopfen, um mit Wucht daran erinnert zu werden, was für ein faszinierender Mensch da eigentlich vor acht Jahren abgetreten ist. Dann nämlich wird einem auffallen, dass Udo Jürgens nicht nur etwas grundsätzlich anderes als Florian Silbereisen gemacht hat, sondern das Gegenteil. Weil er die miefige Schlagerseligkeit der Nachkriegsjahre nicht reproduziert, sondern mit Haltung aufgeladen hat. Weil er mit Esprit in die Bequemlichkeit seiner Zeit hineingegrätscht ist. Weil er selbst weniger klebrig und seine Kunst zwingender, tiefgründiger, eleganter war.
Genau das hat ihn zum Superstar werden lassen: dass er sich in jeden Winkel seiner Seele hat schauen lassen, dass er unangenehme Wahrheiten ausgesprochen hat, dass er widersprüchlich und fehlerhaft war, aber kein Heuchler. Er hat es ja selbst gesagt: „Wenn du nicht selbst von deinen Erfahrungen im Leben berichtest, dann wirst du niemals wahrhaftig sein. Nur wer offen ist und sich in sein Herz schauen lässt, wird sein Publikum berühren.“
Tobias Haberl, sueddeutsche.de, 21.12 2022 (online)