Jeder, der mal in Corporate-Zusammenhängen, in der Kreativwirtschaft, in den Medien oder mittelständischen Firmen gearbeitet hat, ist bei den Worten „neu denken“ sofort so alarmiert, als würden die eigenen Haare in Flammen stehen. Denn meistens sind es die Bosse oder irgendwelche Millennial-Heuschrecken des mittleren und gehobenen Managements, die „neu denken“ wollen – entweder ein Produkt oder eine Struktur, häufig die der Firma, in der sie gerade arbeiten. Sie denken fast nie selbst irgendetwas wirklich Neues. Meistens haben sie „so ein Gefühl“, haben irgendetwas gesehen, gelesen, etwas gehört. Sie sind nicht in der Lage, genauer zu definieren, was dieses Gefühl eigentlich ist, es ist immer wie etwas anderes: eine Gucci-Reklame, Greta Thunberg, was von Instagram, irgendwas mit Diversität oder Werten. Hauptsache heiß.
Immer wollen diese Leute dieses unbestimmte Gefühl vermarkten. Sie wollen das, was ihre Vorbilder haben, was ihnen aber selbst fehlt: Anerkennung, credibility, ein außergewöhnliches Leben, intensive Erfahrungen. Die Neudenker wollen das alles, ohne sich wirklich zu engagieren, für etwas zu begeistern, etwas zu riskieren. Es soll so rüberkommen, als hätten sie es erfunden. Dabei geht es immer um Macht und mehr Geld, aber auch um eine gehörige Portion Destruktion. „Neu denken“, das heißt immer auch, etwas abzureißen, kaputt zu machen, Leute zu feuern, Sachen zu verheizen. Manchmal verschwindet das „Alte“ völlig im Ausguss, wie der langweilige Parboiled-Reis, den die Mutti schon seit Jahrzehnten zerkocht hat.
Oliver Koerner von Gustorf. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ bei Amazon. Eine Serie von Spießern für Spießer, Monopol Magazin, 03.03.2021, (online)
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