Viele derer, die sich heute an den ID erinnern, sprechen von „unterdrückten Nachrichten“, obwohl die Initiatoren des ID nicht davon ausgingen, dass es so etwas wie eine Meinungsdiktatur gebe. Die Formulierung „unterbliebene Nachrichten“ kennzeichnete vielmehr das Verständnis von einer unerschöpflichen Informationsvielfalt, in der viele wichtige Nachrichten aus bestimmten sozialen Bereichen nicht durchdringen, weil es ihnen an einer gesellschaftlichen Lobby mangelt. Das immer wieder herbeizitierte Beispiel für die Bedeutung und Dringlichkeit des ID etwa war die Situation inhaftierter Menschen, die in den Vollzugsanstalten buchstäblich vergessen wurden.
Wie auch immer man es rekonstruieren und erzählen mag, ging es letztlich nicht darum, verborgene Wahrheiten ans Tageslicht zu hieven, sondern einen neuen Modus kreativer Wertschöpfung zu ermöglichen. Es gibt vieles und anderes zu berichten. „Die Klugen“, schreibt der Philosoph Martin Seel in diesem Sinne, „zeichnen sich dadurch aus, dass sie bereit sind, aus ihrer Erfahrung zu lernen – und dabei zu beherzigen, dass diese Art des Lernens kein Ende nimmt.“
Harry Nutt, Berliner Zeitung, 12.08.2020 (online)