Es gibt ja einen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Gerichtsdrama fürs Kino und der Wirklichkeit: Nur in der Fiktion liegt die Geschichte wirklich in einer Hand. Im Kino gibt es das ultimative Beweisstück, eine unumstößliche Wahrheit, die alle Seiten irgendwann einräumen müssen. Was aber, wenn in der Wirklichkeit für zwei Menschen die Wahrheit gar nicht dasselbe ist? Wenn sie die Szenen derselben Ehe ganz unterschiedlich wahrgenommen haben? In diesem Prozess geht es ja nicht nur um Vorwürfe von Gewalt, die Heard und Depp gegeneinander erheben. Sondern auch um psychische Vorbelastung und Drogenexzesse, beides nicht förderlich für die Genauigkeit und Objektivität von Schilderungen und Erinnerungen. Man schaut diesen Prozess in der Hoffnung auf einen Augenblick der Erlösung, wenn klar ist, wer was getan hat.
Es wird ein Urteil geben – eines, das in der öffentlichen Meinung wird konkurrieren müssen mit Tausenden längst gefällten Privaturteilen. Es wird ein Urteil geben, aber keine Erlösung.
Susan Vahabzadeh, sueddeutsche.de, 18.5.2022 (online)