Die Enthüllungen rund um eine fragwürdige Studie an der Universität Tübingen zeigen: Im Forschungsbetrieb werden Kritik und Zweifel auf erschreckende Weise unterdrückt. …. Die Jagd nach Fördermitteln und die Publikationsflut sind zum Selbstzweck geworden. Es gibt Forscher, die sich damit brüsten, jährlich Hunderte Publikationen anderer Kollegen zu begutachten. Seriöserweise ist das nicht zu schaffen. An vielen Lehrstühlen müssen junge Forscher bereits während der Promotionsphase mehrere Publikationen vorweisen. Ihre Vorgesetzten ebenso wie die Fachjournale sehen deutlich lieber positive Ergebnisse als negative. … Die Gefahr liegt auf der Hand, dass Nachwuchsforscher bei der Datenanalyse unter extremem Druck stehen, die vom Professor ersehnte Hypothese experimentell zu bestätigen. Die Folge muss nicht Betrug sein, aber selektive Wahrnehmung liegt nahe. Und die Hierarchen des Wissenschaftssystems werden, bewusst oder unbewusst, Mitarbeiter bevorzugen, die spektakuläre Ergebnisse liefern statt der Erkenntnis, dass sich eine Idee leider nicht erhärten lässt.
Patrick Illinger, sueddeutsche.de, 13.04.2019 (online)