Mir fällt generell in Deutschland auf, dass alteingesessene Institutionen eine verunsicherte Identität haben. Wenn man zum Beispiel die Verlagsprogramme von Suhrkamp, Hanser, Rowohlt oder Fischer durchsieht, kann man die nur sehr schlecht unterscheiden. Sie jagen alle, mehr oder weniger widerwillig, denselben Trends hinterher. Es gibt so eine deutsche Sensibilität, die einerseits schön ist – dass man sehr offen ist für Einflüsse von außen –, andererseits aber auch sein Fähnchen sehr in den Wind hält. Wenn ich mit französischen oder italienischen Autoren spreche, habe ich den Eindruck, die denken nicht so viel nach darüber, wie man sich positionieren muss, sondern arbeiten einfach in ihrer Expertise, und das in der Regel sehr gut. Dazu kommt hierzulande eine große, hochnervöse und sich stets selbstbespiegelnde Landschaft des Kulturjournalismus.
Tobias Haberkorn, berliner-zeitung.de, 07.06.2025 (online)