Im Nachhinein ist man immer klüger, aber es ist erlaubt, aus Fehlern zu lernen und zu erkunden, warum die Möglichkeit des russischen Einmarschs nicht mindestens als ernst zu nehmende Option zu entsprechenden Plänen führte, die hoffentlich in der Schublade bleiben könnten, aber nicht geblieben wären. Oder, im Fall der Pandemie, warum nicht in irgendeiner verträumten Ecke privater Thinktanks oder des öffentlichen Dienstes Menschen saßen, die man dafür bezahlt, sich vorzustellen, dass schiefgeht, was schiefgehen kann. Im Kalten Krieg gab es noch jede Menge dieser berufsmäßigen Schwarzseher auf beiden Seiten, und man hat sie selbstverständlich ausgelacht, aber vorgesorgt wurde doch auch.
Heute ist die Dichte an Informationen unvergleichlich größer, aber ihre Analyse führt nicht zu einer vorausschauenden Politik oder gar einem langfristig orientierten öffentlichen Diskurs. Das Tempo und die Intensität der digitalen Informationsangebote erschweren deren Auswertung und die Umsetzung der Lehren, die daraus zu ziehen wären, es ist ein dauerndes Gestöber von allem und jedem.
Nils Minkmar, sueddeutsche.de, 02.06.2023 (online)