Viele Fehlentwicklungen in unserem Land, zumal unter jungen Leuten, sehe ich mit dem Zustand des Rundfunks in Zusammenhang. Woran liegt es wohl, daß Nachdenken in den Ruf gekommen zu begegnen. Man wird kaum ergründen können, welchen Anteil der Rundfunk daran hat; daß es diesen Anteil aber gibt und daß er nicht unerheblich ist, das halte ich für sicher.
Damit wird nichts anderes behauptet, als daß das allmähliche Verschwinden der Wörter von den Sendern mitverantwortlich für Rechtsradikalismus und Gewalthinwendung in unserer Gesellschaft ist. Und es stellt kein Gegengewicht dazu dar, wenn von Zeit zu Zeit der Moderator eines Jugendmagazins ins Mikrofon hinein sagt, Ausländerfeindlichkeit sei mega-out. Nicht so sehr das Ausbleiben von Orientierungshilfen ist das Problem, viel schwerer wiegt, daß die Fähigkeit verkümmert, sich selbst um Orientierung zu bemühen.
Jurek Becker: Die Worte verschwinden, Spiegel 2/1995, S. 160 (online)