In den Anfangsjahren des Fernsehens kamen die Redakteur:innen aus anderen Branchen: Theater, Verlage, sie waren Fachredakteur:innen und es gab Fachredaktionen für die verschiedenen Bereiche. In den Redaktionen arbeiteten Experten für ihr Gebiet, die Entscheidungen, die sie trafen, waren auf ihrer Kompetenz aufgebaut und diese Kompetenz war auch gefragt und geschätzt.
Vorgesetzte wären gar nicht auf die Idee gekommen, alles besser wissen zu wollen und in Konkurrenz mit den Redakteur:innen zu treten. Die Redaktionen waren das Herz der Sender, sie waren programmprägend, fühlten sich frei und waren daher offen und mutig für Innovation, Veränderung, hatten Wagemut, ihr Ziel war es, Avantgarde zu sein und couragierte Projekte zu riskieren.
Doch in der Ära Pleitgen, in den 90er Jahren, wurde die Fachredaktion abgeschafft, jeder sollte alles können, heute Service, morgen Sport, übermorgen Landes- oder gar Auslandsstudio. Der damalige Intendant war überzeugt, so den Sender besser für die Zukunft zu wappnen. Auch bei Führungspositionen kommen die zum Zuge, die sich unterordnen und in Seilschaften bewähren. […]
Während die Digitalisierung in vielen Industriezweigen dazu geführt hat, dass die Hierarchien flacher und horizontaler geworden sind, bewegten sich die Sender in den letzten Jahren in die entgegengesetzte Richtung.
Sie wurden hierarchischer. Dafür ein marginales, aber signifikantes Beispiel. Es hat sich zusätzlich eingebürgert, dass auch noch Leitung der Sendung zusätzlich zum Namen eines Redakteurs auf dem Abspann steht. Dies ist nicht nur überflüssig, sondern auch unzulässig, denn der Redakteur ist der presserechtlich Verantwortliche.
Dies gehört aber zu den vielen Degenerationserscheinungen des Berufs des Redakteurs, der zunehmend von wachsenden Hierarchiestrukturen zermalmt wird. Private, zukunftsorientierte Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre Leitungsebenen verflacht, sie sind horizontaler geworden. Die Anstalten, vor allem der WDR, sind vertikaler geworden.
Sabine Rollberg, epd 20/2023