Die Menschen, die einem Maximilian Krah zujubeln (…) trotz der Nachrichten über diesen Mann, müssen einen fundamentalen Bruch vollzogen haben. Nicht bloß einen äußeren Bruch mit den ‚Eliten‘ der ‚Altparteien‘, den ‚grünlinksversifften Intellektuellen‘ oder den ‚genderwahnsinnigen Frühsexualisierern‘, sondern auch einen inneren Bruch mit den Tugenden und Codes einer bürgerlichen Biografie in einer bürgerlichen Gesellschaft. Vernunft, Respekt, Anstand, ordentliche Sprache, Ehrlichkeit, Würde (…) Das Ziel solcher Veranstaltungen, so scheint es, besteht nicht in einer politischen Überzeugungsarbeit, nicht einmal allein in der rauschhaften Vereinigung der Anhängerinnen und Anhänger (die Ähnlichkeit des rechten Spektakels mit einer Sekten-Versammlung ist freilich unübersehbar); das eigentliche Ziel ist eine Feier des Bruchs (…) mit bürgerlichen Vorstellungen von Moral und Würde. Hier geht es nicht um eine Argumentation, hier geht es um rituelle Bekenntnisse, um eine finstere Abart von ‚Glauben‘ und ‚Erlösung‘. (…) Wäre der Rechtsextremismus eine ‚Meinung‘, so könnte man Hoffnung auf eine Änderung im Namen von Vernunft und Moral haben. Doch als fundamentaler ‚Glaube‘ sieht die Sache anders aus. Von Sekten wissen wir, wie schnell man in ihren Bann gelangen kann, und wie schwer es ist, sich wieder von ihnen zu befreien.
Georg Seeßlen, taz.de, 29.05.2024 (online)