Wer Bilder schießt, macht sich des geschossenen Körpers habhaft. Michelangelo Antonioni assoziierte das in „Blow Up“ mit Sex und Mord. Das Machtgefälle in der Beziehung zwischen der Kamera und ihrem Objekt kann subtil oder verstörend sein, einvernehmlich oder gewaltsam. Was hätte Hitchcock zu einer Welt gesagt, in der jeder eine Kamera in der Hose (ausgerechnet!) mit sich herumträgt, in der manche Menschen – für die sich die Bezeichnung „glassholes“ etabliert hat – versteckte Objektive in ihren smarten Brillen haben, einer Welt, in der die digitale Bewegtbildwirklichkeit der analogen Realität zunehmend gleichwertig in den Angelegenheiten des täglichen Lebens gegenübersteht, in der mediale, „bildbasierte“ Gewalt somit auch immer realer wird?
Kluge Dokumentarfilme haben seit jeher daran gearbeitet, die Unschuld zu kitzeln und zu stören, auf der die Idee der Dokumentation ruht. Joshua Oppenheimer, der in „The Act of Killing“ Mörder ihre Taten nachinszenieren ließ. Chantal Akerman, die in „No Home Movie“ ihrer alten Mutter unnachgiebig mit der Kamera zu Leibe rückte.
Philipp Bovermann, sueddeutsche.de, 02.09.2025 (online)