Wer jetzt in Deutschland argumentiert, Wahlempfehlungen seien kein Journalismus, macht es sich zu einfach. Denn selbstverständlich gehören Meinungskommentare und klare subjektive Parteinahmen und Kommentare auch in Europa zum festen Bestandteil journalistischer Tradition. Eine Wahlempfehlung ist ein selbstverständlicher redaktioneller Inhalt – genau wie etwa Leit- oder andere Meinungsartikel.
Die sind natürlich weniger neutral gehalten als etwa Nachrichtenbeiträge, aber dennoch anerkannte journalistische Darstellungsformen. Redaktionelle Beiträge und namentlich gekennzeichnete Texte sind keineswegs zwingend neutral, zumal völlige „Neutralität“ im Journalismus wie im Leben ohnehin eine Illusion ist.
Halten wir zudem fest: In den USA und überhaupt im angelsächsischen Journalismus – also beispielsweise auch in Großbritannien – sind Wahlempfehlungen, sogenannte „endorsements“ der Zeitungen vor einer Wahl die Regel, nicht die Ausnahme.
Rüdiger Suchsland, Telepolis, 29.10.2024 (online)